R.I.P. Chancengleichheit

Ich mache es Ihnen heute besonders einfach, mich zu hassen: Ich bin nämlich ein Günstling par excellence. Zum Beispiel während der Coronakrise: Ich habe kaum je eine bessere Zeit gehabt. Die ersten sechs Wochen nur Sonne, morgens ausschlafen, im Nebenzimmer arbeiten, abends gemeinsam mit der Familie im Garten grillieren, trinken, lachen, die Ruhe und saubere Luft geniessen und an freien Tagen mit den Kindern die Region erkunden. Dabei wie verrückt Geld sparen, wo ich doch eh schon so viel verdiene. Mensch, geht es mir gut.

Und wie gehts Ihnen? Keine schöne Zeit auf dem Balkon gehabt? Haben die Kinder genervt? Plagen Sie finanzielle Sorgen und Nöte? Vielleicht sogar die Arbeit verloren? Ja, liebe Biberisterinnen und Biberister, das kommt davon, wenn man an die Chancengleichheit glaubt. Wir sind Lichtjahre davon entfernt jeder Person die gleichen Chancen einzuräumen, denn unser System funktioniert nun mal recht effektiv mit systematischer Diskriminierung. Nehmen wir ein Beispiel: mich. Eltern aus der Türkei, in Deutschland geboren und aufgewachsen, Matura, Uni und heute glücklich verheiratet, finanziell sorgenfrei und jede Menge Chancen.

Was ist aber das Geheimnis meines Erfolgs? Erhöhte Intelligenz? Ich bitte Sie. Brachiale Disziplin? Pfff, bin faul. Ja, was ist es denn? Ich verrate es Ihnen: Ein Vater, der die Uni besucht hat. Sowas vererbt sich ganz frech: mit über 80%iger Wahrscheinlichkeit. Und bei Ihnen? Keine Eltern, die je eine Uni von innen gesehen haben? Tja, Ihre Chancen lagen gerade mal bei guten 20% je eine Hochschule zu besuchen, und so ist es auch mit Ihren Kindern.

Daher, seien Sie nicht auf mich böse. Ich, der Günstling, versuche mit meinem Beitrag bei der SP, dass sich unsere Demokratie der Chancengleichheit annähert. Dies ist recht schwierig, wenn sich viele Politiker stark vom Geld leiten lassen. Und wenn nicht hier ein Umdenken passiert, so wird es für Ihre Kindeskinder auch keine gleichen Chancen geben.

Cagatay Blaser